Schurke von einem Wirte! Du, uns? - Frisch, Bruder! -
Schlag zu, Bruder! (Er holt aus und erwacht durch die
Bewegung.) Heda! schon wieder? Ich mache kein Auge
zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Haette er nur
erst die Haelfte von allen den Schlaegen! -- Doch sieh,
es ist Tag! Ich muss nur bald meinen armen Herrn aufsuchen.
Mit meinem Willen soll er keinen Fuss mehr in
das vermaledeite Haus setzen. Wo wird er die Nacht
zugebracht haben?
(Der Wirt. Just.)
Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so frueh auf? Oder soll ich sagen: noch so spaet auf?
Sage Er, was Er will.
Ich sage nichts als "Guten Morgen"; und das verdient doch wohl, dass Herr Just "Grossen Dank" darauf sagt?
Grossen Dank!
Man ist verdriesslich, wenn man seine gehoerige Ruhe nicht haben kann. Was gilt's, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat hier auf ihn gelauert?
Was der Mann nicht alles erraten kann!
Ich vermute, ich vermute.
(kehrt sich um und will gehen). Sein Diener!
(haelt ihn). Nicht doch, Herr Just!
Nun gut; nicht Sein Diener!
Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, Dass Er noch von gestern her boese ist? Wer wird seinen Zorn ueber Nacht behalten?
Ich; und ueber alle folgende Naechte.
Ist das christlich?
Ebenso christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hause stossen, auf die Strasse werfen.
Pfui, wer koennte so gottlos sein?
Ein christlicher Gastwirt. - Meinen Herrn! so einen Mann! so einen Offizier!
Den haette ich aus dem Hause gestossen? auf die Strasse geworfen? Dazu habe ich viel zu viel Achtung fuer einen Offizier und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Ich hane ihm aus Not ein ander Zimmer einraeumen muessen. - Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in die Szene.) Holla! - Ich will's auf andere Weise wiedergutmachen. (Ein Junge koemmt.) Bring ein Glaeschen; Herr Just will ein Glaeschen haben; und was Gutes!
Mache Er sich keine Muehe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden, den - Doch ich will nicht schwoeren; ich bin noch nuechtern!
(zu dem Jungen, der eine Flasche Likoer und ein Glas bringt). Gib her; geh! - Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund. (Er fuellt und reicht ihm zu.) Das kann einen ueberwachten Magen wieder in Ordnung bringen!
Bald duerfte ich nicht! -- Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine Grobheit entgelten lassen? - (Er nimmt und trinkt.)
Wohl bekomm's, Herr Just!
(indem er das Glaeschen wieder zurueckgibt). Nicht uebel! - Aber, Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Nicht doch, nicht doch! - Geschwind noch eins; auf einem Beine ist nicht gut stehen.
(nachdem er getrunken). Das muss ich sagen: gut, sehr gut! - Selbst gemacht, Herr Wirt? -
Behuete! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!
Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln koennte, so wuerde ich fuer so was heucheln; aber ich kann nicht; es muss raus: - Er ist doch ein Grobian, Herr Wirt!
In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt. - Noch eins, Herr Just; aller guten Dinge sind drei!
Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding! - Aber auch die Wahrheit ist gut Ding. - Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wenn ich es waere, wuerde ich das wohl so mit anhoeren?
O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.
Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur haelt desto besser.
Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's Ihn, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche wuerde ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben und so schlechte Mores! - Einem Manne wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von dem Er schon so manchen schoenen Taler gezogen, der in seinem Leben keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein paar Monate her nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen laesst - in der Abwesenheit das Zimmer auszuraeumen!
Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraussahe, dass der Herr Major es selbst gutwillig wuerde geraeumt haben, wenn wir nur lange auf seine Zurueckkunft haetten warten koennen? Sollte ich denn so eine fremde Herrschaft wieder von meiner Tuere wegfahren lassen? Sollte ich einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, dass sie sonstwo unterkommen waere. Die Wirtshaeuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge, schoene, liebenswuerdige Dame auf der Strasse bleiben? Dazu ist Sein Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafuer eingeraeumt?
Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars Feuermauern --
Die Aussicht war wohl sehr schoen, ehe sie der verzweifelte Nachbar verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert -
Gewesen!
Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stuebchen darneben, Herr Just; was fehlt dem Stuebchen? Es hat einen Kamin, der zwar im Winter ein wenig raucht --
Aber doch im Sommer recht huebsch laesst. - Herr, ich glaube gar, Er vexiert uns noch obendrein? -
Nu, nu, Herr Just, Herr Just -
Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder -
Ich macht' ihn warm? der Danziger tut's! -
Einen Offizier wie meinen Herrn! Oder meint Er, dass ein abgedankter Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals brechen kann? Warum waret ihr im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirte? Warum war denn da jeder Offizier ein wuerdiger Mann und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das bisschen Friede schon so uebermuetig?
Was ereifert Er sich nun, Herr Just? -
Ich will mich ereifern. --
(v. Tellheim. Der Wirt. Just.)
(im Hereintreten). Just!
(in der Meinung, dass ihn der Wirt nenne). Just? - So bekannt sind wir? -
Just!
Ich daechte, ich waere wohl Herr Just fuer Ihn!
(der den Major gewahr wird). St! st! Herr, Herr, Herr Just - seh Er sich doch um; Sein Herr --
Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?
Oh, Ihro Gnaden! zanken? da sei Gott vor! Ihr untertaenigster Knecht sollte sich unterstehen, mit einem, der die Gnade hat, Ihnen anzugehoeren, zu zanken?
Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben duerfte! --
Es ist wahr, Herr Just spricht fuer seinen Herrn, und ein wenig hitzig. Aber daran tut er recht; ich schaetze ihn um so viel hoeher; ich liebe ihn darum. -
Dass ich ihm nicht die Zaehne austreten soll!
Nur schade, dass er sich umsonst erhitzt. Denn ich bin gewiss versichert, dass Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen haben, weil - die Not - mich notwendig -
Schon zuviel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie raeumen mir in meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie muessen bezahlt werden; ich muss wo anders unterzukommen suchen. Sehr natuerlich! -
Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnaediger Herr? Ich ungluecklicher Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muss die Dame das Quartier wieder raeumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muss fort; ich kann ihr nicht helfen. - Ich gehe, gnaediger Herr --
Freund, nicht zwei dumme Streiche fuer einen! Die Dame muss in dem Besitze des Zimmers bleiben. --
Und Ihro Gnaden sollten glauben, dass ich aus Misstrauen, aus Sorge fuer meine Bezahlung? -- Als wenn ich nicht wuesste, dass mich Ihro Gnaden bezahlen koennen, sobald Sie nur wollen. -- Das versiegelte Beutelchen - fuenfhundert Taler Louisdor stehet drauf - welches Ihro Gnaden in dem Schreibepulte stehen gehabt -- ist in guter Verwahrung. -
Das will ich hoffen; so wie meine uebrige Sachen. - Just soll sie in Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat. --
Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand. - Ich habe immer Ihro Gnaden fuer einen ordentlichen und vorsichtigen Mann gehalten, der sich niemals ganz ausgibt. -- Aber dennoch -- wenn ich bar Geld in dem Schreibepulte vermutet haette --
Wuerden Sie hoeflicher mit mir verfahren sein. Ich verstehe Sie. - Gehen Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem Bedienten zu sprechen. --
Aber, gnaediger Herr --
Komm, Just, der Herr will nicht erlauben, dass ich dir in seinem Hause sage, was du tun sollst. --
Ich gehe ja schon, gnaediger Herr! - Mein
ganzes Haus ist zu Ihren Diensten.
(v. Tellheim. Just.)
(der mit dem Fusse stampft und dem Wirte nachspuckt). Pfui!
Was gibt's?
Ich ersticke vor Bosheit.
Das waere soviel als an Vollbluetigkeit.
Und Sie - Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor Ihren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses haemischen, unbarmherzigen Rackers sind! Trotz Galgen und Schwert und Rad haette ich ihn - haette ich ihn mit diesen Haenden erdrosseln, mit diesen Zaehnen zerreissen wollen. -
Bestie!
Lieber Bestie als so ein Mensch!
Was willst du aber?
Ich will, dass Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie beleidiget.
Und dann?
Dass Sie sich raechten. - Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering. -
Sondern, dass ich es dir auftruege, mich zu raechen? Das war von Anfang mein Gedanke. Er haette mich nicht wieder mit Augen sehen und seine Bezahlung aus deinen Haenden empfangen sollen. Ich weiss, dass du eine Handvoll Geld mit einer ziemlich veraechtlichen Miene einem hinwerfen kannst. -
So? eine vortreffliche Rache! -
Aber die wir noch verschieben muessen. Ich habe keinen Heller bares Geld mehr; ich weiss auch keines aufzutreiben.
Kein bares Geld? Und was ist denn das fuer ein Beutel mit fuenfhundert Taler Louisdor, den der Wirt in Ihrem Schreibpulte gefunden?
Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.
Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister vor vier oder fuenf Wochen brachte?
Die naemlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?
Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen koennen Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung -
Wahrhaftig?
Werner hoerte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an die Generalkriegskasse aufzieht. Er hoerte -
Dass ich sicherlich zum Bettler werden wuerde, wenn ich es nicht schon waere. - Ich bin dir sehr verbunden, Just. - Und diese Nachricht vermochte Wernern, sein bisschen Armut mit mir zu teilen. - Es ist mir doch lieb, dass ich es erraten habe. - Hoere, Just, mache mir zugleich auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute. --
Wie? was?
Kein Wort mehr; es koemmt jemand. -
(Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Just.)
Ich bitte um Verzeihung, mein Herr! -
Wen suchen Sie, Madame? -
Eben den wuerdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen. Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres ehemaligen Stabsrittmeisters -
Um des Himmels willen, gnaedige Frau! welche Veraenderung! -
Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz ueber den Verlust meines Mannes warf. Ich muss Ihnen frueh beschwerlich fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben auch nicht glueckliche Freundin eine Zuflucht vors erste angeboten. -
(zu Just). Geh, lass uns allein. -
(Die Dame. v. Tellheim.)
Reden Sie frei, gnaedige Frau! Vor mir duerfen Sie sich Ihres Ungluecks nicht schaemen. Kann ich Ihnen worin dienen?
Mein Herr Major -
Ich beklage Sie, gnaedige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer karg mit diesem Titel.
Wer weiss es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie wuerden sein letzter Gedanke, Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, haette nicht die staerkere Natur dieses traurige Vorrecht fuer seinen ungluecklichen Sohn, fuer seine unglueckliche Gattin gefordert -
Hoeren Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Traenen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten waere, wider die Vorsicht zu murren. - O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnaedige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich es bin -
Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, dass er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift einzuloesen. -
Wie, gnaedige Frau? darum kommen Sie?
Darum. Erlauben Sie, dass ich das Geld aufzaehle.
Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein. Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.) Ich finde nichts.
Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut nichts zur Sache. - Erlauben Sie -
Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis, dass ich nie eine gehabt habe, oder dass sie getilgt und von mir schon zurueckgegeben worden.
Herr Major! -
Ganz gewiss, gnaedige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig gebleiben. Ich wuesste mich auch nicht zu erinnern, dass er mir jemals etwas schuldig gewesen waere. Nicht anders, Madame; er hat mich vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun koennen, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glueck und Unglueck, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht vergessen, dass ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein, sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich jetzt selbst befinde -
Edelmuetiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein! Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget. -
Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung, dass mir dieses Geld nicht gehoeret? Oder wollen Sie, dass ich die unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame; das wuerde es in dem eigentlichsten Verstande sein. Ihm gehoert es, fuer ihn legen Sie es an! -
Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiss, wie man Wohltaten annehmen muss. Woher wissen es denn aber auch Sie, dass eine Mutter mehr fuer ihren Sohn tut, als sie fuer ihr eigen Leben tun wuerde? Ich gehe -
Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie gluecklich! Ich bitte Sie nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie moechte mir zu einer Zeit kommen, wo ich sie nicht nutzen koennte. Aber noch eines, gnaedige Frau; bald haette ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fodern. Seine Foderungen sind so richtig wie die meinigen. Werden meine bezahlt, so muessen auch die seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafuer. -
Oh! Mein Herr - Aber ich schweige lieber. -
Kuenftige Wohltaten so vorbereiten, heisst sie in
den Augen des Himmels schon erwiesen haben. Empfangen
Sie seine Belohnung und meine Traenen! (Geht ab.)
(v. Tellheim.)
Armes, braves Weib! Ich muss nicht vergessen, den
Bettel zu vernichten. (Er nimmt aus seinem Taschenbuche
Briefschaften, die er zerreisst.) Wer steht mir
dafuer, dass eigner Mangel mich nicht einmal verleiten
koennte, Gebrauch davon zu machen?
(Just. v. Tellheim.)
Bist du da?
(indem er sich die Augen wischt). Ja!
Du hast geweint?
Ich habe in der Kueche meine Rechnung geschrieben, und die Kueche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!
Gib her.
Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich Weiss wohl, dass die Menschen mit Ihnen keine haben, aber -
Was willst du?
Ich haette mir ehr den Tod als meinen Abschied vermutet.
Ich kann dich nicht laenger brauchen; ich muss mich ohne Bedienten behelfen lernen. (Schlaegt die Rechnung auf und lieset.) "Was der Herr Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses an Kleinigkeiten ausgelegt 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Taler 7 Gr. 9 Pf." - Gut, und es ist billig, dass ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.
Die andere Seite, Herr Major -
Noch mehr? (Lieset.) Was dem Herrn Major ich schuldig: An den Feldscher fuer mich bezahlt 25 Taler. Fuer Wartung und Pflege waehrend meiner Kur fuer mich bezahlt 39 Taler. Meinem abgebrannten und gepluenderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa Summarum 114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Taler 7 Gr. 9 Pf., bleibe dem Herrn Major schuldig 91 Taler 16 Gr. 3 Pf." - Kerl, du bist toll!-
Ich glaube es gern, dass ich Ihnen weit mehr koste. Aber es waere verlorne Tinte, es dazuzuschreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe - so wollte ich lieber, Sie haetten mich in dem Lazarette krepieren lassen.
Wofuer siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben sollst als bei mir.
Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstossen?
Weil ich dir nichts schuldig werden will.
Darum? nur darum? - So gewiss ich Ihnen schuldig bin, so gewiss Sie mir nichts schuldig werden koennen, so gewiss sollen Sie mich nun nicht verstossen. - Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei Ihnen; ich muss bei Ihnen bleiben. -
Und deine Hartnaeckigkeit, dein Trotz, dein wildes, ungestuemes Wesen gegen alle, von denen du meinest, dass sie dir nichts zu sagen haben, deine tueckische Schadenfreude, deine Rachsucht --
Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen Winter ging ich in der Daemmerung an dem Kanale und hoerte etwas winseln. Ich stieg herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein Kind zu retten, und zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte ich. Der Pudel kam mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn fort, umsonst; ich pruegelte ihn von mir, umsonst. Ich liess ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Tuere auf der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stiess ich ihn mit dem Fusse; er schrie, sahe mich an und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brot aus meiner Hand bekommen, und doch bin ich der einzige, dem er hoert, und der ihn anruehren darf. Er springt vor mir her und macht mir seine Kuenste unbefohlen vor. Es ist ein haesslicher Pudel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn er es laenger treibt, so hoere ich endlich auf, den Pudeln gram zu sein.
(beiseite). So wie ich ihm! Nein, es gibt keine voelligen Unmenschen! -- Just, wir bleiben beisammen.
Ganz gewiss! - Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergessen Ihrer Blessuren und dass Sie nur eines Armes maechtig sind. Sie koennen sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unentbehrlich; und bin -- ohne mich selbst zu ruehmen, Herr Major - und bin ein Bedienter, der - wenn das Schlimmste zum Schlimmen koemmt - fuer seinen Herrn betteln und stehlen kann.
Just, wir bleiben nicht beisammen.
Schon gut!
(Ein Bedienter. v. Tellheim. Just.)
Bst! Kamerad!
Was gibt's?
Kann Er mir nicht den Offizier nachweisen, der gestern noch in diesem Zimmer (auf eines an der Seite zeigend, von welcher er herkoemmt) gewohnt hat?
Das duerfte ich leicht koennen. Was bringt Er ihm?
Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: ein Kompliment. Meine Herrschaft hoert, dass er durch sie verdraengt worden. Meine Herrschaft weiss zu leben, und ich soll ihn deshalb um Verzeihung bitten.
Nun, so bitte Er ihn um Verzeihung; da steht er.
Was ist er? Wie nennt man ihn?
Mein Freund, ich habe Euern Auftrag schon gehoert. Es ist eine ueberfluessige Hoeflichkeit von Eurer Herrschaft, die ich erkenne, wie ich soll. Macht ihr meinen Empfehl. - Wie heisst Eure Herrschaft? -
Wie sie heisst? Sie laesst sich gnaediges Fraeulein heissen.
Und ihr Familienname?
Den habe ich noch nicht gehoert, und darnach zu fragen, ist meine Sache nicht. Ich richte mich so ein, dass ich meistenteils alle sechs Wochen eine neue Herrschaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen! -
Bravo, Kamerad!
Zu dieser bin ich erst vor wenig Tagen in Dresden gekommen. Sie sucht, glaube ich, hier ihren Braeutigam. -
Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrschaft wollte ich wissen, aber nicht ihre Geheimnisse. Geht nur!
Kamerad, das waere kein Herr fuer mich!
(v. Tellheim. Just.)
Mache, Just, mache, dass wir aus diesem Hause kommen! Die Hoeflichkeit der fremden Dame ist mir empfindlicher als die Grobheit des Wirts. Hier, nimm diesen Ring, die einzige Kostbarkeit, die mir uebrig ist, von der ich nie geglaubt haette, einen solchen Gebrauch zu machen! - Versetze ihn! Lass dir achtzig Friedrichsdor darauf geben; die Rechnung des Wirts kann keine dreissig betragen. Bezahle ihn und raeume meine Sachen - Ja, wohin? - Wohin du willst. Der wohlfeilste Gasthof der beste. Du sollst mich hier nebenan auf dem Kaffeehause treffen. Ich gehe, mache deine Sache gut. -
Sorgen Sie nicht, Herr Major! -
(koemmt wieder zurueck). Vor allen Dingen, dass meine Pistolen, die hinter dem Bette gehangen, nicht vergessen werden.
Ich will nichts vergessen.
(koemmt nochmals zurueck). Noch eins:
nimm mir auch deinen Pudel mit; hoerst du, Just! -
(Just)
Der Pudel wird nicht zurueckbleiben. Dafuer lass ich den
Pudel sorgen. - Hm! Auch den kostbaren Ring hat der
Herr noch gehabt? Und trug ihn in der Tasche, anstatt
am Finger? - Guter Wirt, wir sind so kahl noch nicht,
als wir scheinen. Bei ihm, bei ihm selbst will ich dich
versetzen, schoenes Ringelchen! Ich weiss, er aergert sich,
dass du in seinem Hause nicht ganz sollst verzehrt
werden! - Ah -
(Paul Werner. Just.)
Sieh da, Werner! guten Tag, Werner! willkommen in der Stadt!
Das verwuenschte Dorf! Ich kann's unmoeglich wieder gewohne werden. Lustig, Kinder, lustig; ich bringe frisches Geld! Wo ist der Major?
Er muss dir begegnet sein; er ging eben die Treppe herab.
Ich komme die Hintertreppe herauf. Nun, wie geht's ihm? Ich waere schon vorige Woche bei euch gewesen, aber -
Nun? was hat dich abgehalten? -
- Just - hast du von dem Prinzen Heraklius gehoert?
Heraklius? Ich wuesste nicht.
Kennst du den grossen Helden im Morgenlande nicht?
Die Weisen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr mit dem Sterne herumlaufen. --
Mensch, ich glaube, du liesest ebensowenig die Zeitungen als die Bibel? - Du kennst den Prinzen Heraklius nicht? den braven Mann nicht, der Persien weggenommen und naechster Tage die Ottomanische Pforte einsprengen wird? Gott sei Dank, dass doch noch irgendwo in der Welt Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder losgehen. Aber da sitzen sie und heilen sich die Haut. Nein, Soldat war ich, Soldat muss ich wieder sein! Kurz - (indem er sich schuechtern umsieht, ob ihn jemand behorcht) im Vertrauen, Just, ich wandere nach Persien, um unter Sr. Koeniglichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein paar Feldzuege wider den Tuerken zu machen.
Du?
Ich, wie du mich hier siehst! Unsere Vorfahren zogen fleissig wider den Tuerken, und das sollten wir noch tun, wenn wir ehrliche Kerls und gute Christen waeren. Freilich begreife ich wohl, dass ein Feldzug wider den Tuerken nicht halb so lustig sein kann, als einer wider den Franzosen; aber dafuer muss er auch desto verdienstlicher sein, in diesem und in jenem Leben. Die Tuerken haben dir alle Saebels, mit Diamanten besetzt -
Um mir von so einem Saebel den Kopf spalten zu lassen, reise ich nicht eine Meile. Du wirst doch nicht toll sein und dein schoenes Schulzengerichte verlassen? -
Oh, das nehme ich mit! - Merkst du was? - Das Guetchen ist verkauft -
Verkauft?
St! - hier sind hundert Dukaten, die ich gestern auf den Kauf bekommen; die bring ich dem Major -
Und was soll der damit?
Was er damit soll? Verzehren soll er sie, verspielen, vertrinken, ver-, wie er will. Der Mann muss Geld haben, und es ist schlecht genug, dass man ihm das Seinige so sauer macht! Aber ich wuesste schon, was ich taete, wenn ich an seiner Stelle waere! Ich daechte: hol euch hier alle der Henker, und ginge mit Paul Wernern, nach Persien! - Blitz! - Der Prinz Heraklius muss ja wohl von dem Major Tellheim gehoert haben, wenn er auch schon seinen gewesenen Wachtmeister, Paul Wernern, nicht kennt. Unsere Affaere bei den Katzenhaeusern -
Soll ich dir die erzaehlen? -
Du mir? - Ich merke wohl, dass eine schoene Disposition ueber deinen Verstand geht. Ich will meine Perlen nicht vor die Saeue werfen. - Da nimm die hundert Dukaten; gib sie dem Major. Sage ihm, er soll mir auch die aufheben. Ich muss jetzt auf den Markt; ich habe zwei Winspel Roggen hereingeschickt; was ich daraus loese, kann er gleichfalls haben. -
Werner, du meinest es herzlich gut; aber wir moegen dein Geld nicht. Behalte deine Dukaten, und deine hundert Pistolen kannst du auch unversehrt wiederbekommen, sobald als du willst. -
So? Hat denn der Major noch Geld?
Nein.
Hat er sich wo welches geborgt?
Nein.
Und wovon lebt ihr denn?
Wir lassen anschreiben, und wenn man nicht mehr anschreiben will und uns zum Hause hinauswirft, so versetzen wir, was wir noch haben, und ziehen weiter. - Hoere nur, Paul; dem Wirte hier muessen wir einen Possen spielen.
Hat er dem Major was in den Weg gelegt? - Ich bin dabei! -
Wie waer's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie koemmt, aufpassten und ihn brav durchpruegelten? -
Des Abends? - aufpassten? - ihre zwei, einem? - Das ist nichts. -
Oder wenn wir ihm das Haus ueber dem Kopf ansteckten? -
Sengen und brennen? - Kerl, man hoert's, dass du Packknecht gewesen bist und nicht Soldat - pfui!
Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar verdammt haesslich -
Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?
Komm nur, du sollst dein Wunder hoeren!
So ist der Teufel wohl hier gar los?
Jawohl; komm nur!
Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!
(im Neglige, nach ihrer Uhr sehend).
Franziska, wir sind auch sehr frueh aufgestanden. Die
Zeit wird uns lang werden.
Wer kann denn in den verzweifelten
grossen Staedten schlafen? Die Karossen, die Nachtwaechter,
die Trommeln, die Katzen, die Korporals -
das hoert nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln,
zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu
nichts weniger waere als zur Ruhe. - Eine Tasse Tee,
gnaediges Fraeulein? -
Der Tee schmeckt mir nicht. -
Ich will von unserer Schokolade machen lassen.
Lass machen, fuer dich!
Fuer mich? Ich wollte ebensogern fuer mich
allein plaudern als fuer mich allein trinken. - Freilich
wird uns die Zeit so lang werden. - Wir werden vor
langer Weile uns putzen muessen und das Kleid versuchen,
in welchem wir den ersten Sturm geben
wollen.
Was redest du von Stuermen, da ich
bloss herkomme, die Haltung der Kapitulation zu
fordern?
Und der Herr Offizier, den wir vertrieben,
und dem wir das Kompliment darueber machen
lassen; er muss auch nicht die feinste Lebensart haben;
sonst haette er wohl um die Ehre koennen bitten lassen,
uns seine Aufwartung machen zu duerfen. -
Es sind nicht alle Offiziere Tellheims.
Die Wahrheit zu sagen, ich liess ihm das Kompliment
auch bloss machen, um Gelegenheit zu haben, mich nach
diesem bei ihm zu erkundigen. - Franziska, mein Herz
sagt es mir, dass meine Reise gluecklich sein wird, dass
ich ihn finden werde. -
Das Herz, gnaediges Fraeulein? Man traue
doch ja seinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet
uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul
ebenso geneigt waere, nach dem Herzen zu reden, so
waere die Mode laengst aufgekommen, die Maeuler unterm
Schlosse zu tragen.
Ha! ha! Mit deinen Maeulern unterm
Schlosse! Die Mode waere mir eben recht!
Lieber die schoensten Zaehne nicht gezeigt,
als alle Augenblicke das Herz darueber springen lassen!
Was? Bist du so zurueckhaltend? -
Nein, gnaediges Fraeulein, sondern ich
wollte es gern mehr sein. Man spricht selten von der
Tugend, die man hat; aber desto oeftrer von der, die
uns fehlt.
Siehst du, Franziska? Da hast du
eine sehr gute Anmerkung gemacht. -
Gemacht? Macht man das, was einem so einfaellt? -
Und weisst du, warum ich eigentlich
diese Anmerkung so gut finde? Sie hat viel Beziehung
auf meinen Tellheim.
Was haette bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?
Freund und Feind sagen, dass er der
tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn
von Tapferkeit jemals reden hoeren? Er hat das rechtschaffenste
Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut
sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.
Von was fuer Tugenden spricht er denn?
Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.
Das wollte ich nur hoeren.
Warte, Franziska, ich besinne mich.
Er spricht sehr oft von Oekonomie. Im Vertrauen,
Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.
Noch eins, gnaediges Fraeulein. Ich habe
ihn auch sehr oft der Treue und Bestaendigkeit gegen
Sie erwaehnen hoeren. Wie, wenn der Herr auch ein
Flattergeist waere?
Du Unglueckliche! - Aber meinest du
das im Ernste, Franziska?
Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht
geschrieben?
Ach! seit dem Frieden hat er mir nur
ein einziges Mal geschrieben.
Auch ein Seufzer wider den Frieden!
Wunderbar! Der Friede sollte nur das Boese wieder
gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerruettet
auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch
veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht
sein! - Und wie lange haben wir schon Friede? Die
Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig
Neuigkeiten gibt. - Umsonst gehen die Posten wieder
richtig; niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.
"Es ist Friede", schrieb er mir, "und
ich naehere mich der Erfuellung meiner Wuensche." Aber
dass er mir dieses nur einmal, nur ein einziges Mal geschrieben -
Dass er uns zwingt, dieser Erfuellung der
Wuensche selbst entgegenzueilen: finden wir ihn nur,
das soll er uns entgelten! - Wenn indes der Mann doch
Wuensche erfuellt haette, und wir erfuehren hier -
(aengstlich und hitzig). Dass er tot
waere?
Fuer Sie, gnaediges Fraeulein, in den Armen
einer andern. -
Du Quaelgeist! Warte, Franziska, er
soll dir es gedenken! - Doch schwatze nur; sonst schlafen
wir wieder ein. - Sein Regiment ward nach dem
Frieden zerrissen. Wer weiss, in welche Verwirrung von
Rechnungen und Nachweisungen er dadurch geraten?
Wer weiss, zu welchem andern Regimente, in welche
entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiss, welche
Umstaende - Es pocht jemand.
Herein!
(den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt,
meine gnaedige Herrschaft? -
Unser Herr Wirt? - Nur vollends herein.
(mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt
Papier und ein Schreibezeug in der Hand). Ich komme,
gnaediges Fraeulein, Ihnen einen untertaenigen guten
Morgen zu wuenschen - (zur Franziska) und auch Ihr,
mein schoenes Kind -
Ein hoeflicher Mann!
Wir bedanken uns.
Und wuenschen Ihm auch einen guten Morgen.
Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie
Ihro Gnaden diese erste Nacht unter meinem schlechten
Dache geruhet? -
Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt,
aber die Betten haetten besser sein koennen.
Was hoere ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht,
dass die gar zu grosse Ermuedung von der Reise -
Es kann sein.
Gewiss, gewiss! denn sonst - Indes sollte
etwas nicht vollkommen nach Ihro Gnaden Bequemlichket
gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu befehlen.
Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht
bloede; und am wenigsten muss man im Gasthofe bloede
sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern haetten.
Hiernaechst komme ich zugleich - (indem
er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht).
Nun? -
Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon
die weisen Verordnungen unserer Polizei.
Nicht im geringsten, Herr Wirt -
Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden,
wes Standes und Geschlechts er auch sei, vierundzwanzig
Stunden zu behausen, ohne seinen Namen,
Heimat, Charakter, hiesige Geschaefte, vermutliche
Dauer des Aufenthalts und so weiter gehoerigen Orts
schriftlich einzureichen.
Sehr wohl.
Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen -
(indem er an einen Tisch tritt und sich fertig
macht zu schreiben).
Sehr gern - Ich heisse -
Einen kleinen Augenblick Geduld! - (Er
schreibt.) "Dato, den 22. August a.c. allhier zum Koenige
von Spanien angelangt" - Nun Dero Namen,
gnaediges Fraeulein?
Das Fraeulein von Barnhelm.
(schreibt). "von Barnhelm" - Kommend?
woher, gnaediges Fraeulein?
Von meinen Guetern aus Sachsen.
(schreibt). "Guetern aus Sachsen" - Aus
Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen, gnaediges Fraeulein? aus
Sachsen?
Nun? warum nicht? Es ist doch wohl
hierzulande keine Suende, aus Sachsen zu sein?
Eine Suende? Behuete! das waere ja eine ganz
neue Suende! - Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen!
Das liebe Sachsen! - Aber wo mir recht ist, gnaediges
Fraeulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere - wie
soll ich es nennen? - Distrikte, Provinzen. - Unsere
Polizei ist sehr exakt, gnaediges Fraeulein. -
Ich verstehe: von meinen Guetern
aus Thueringen also.
Aus Thueringen! Ja, das ist besser, gnaediges
Fraeulein, das ist genauer. - (Schreibt und liest.) "Das
Fraeulein von Barnhelm, kommend von ihren Guetern
aus Thueringen, nebst einer Kammerfrau und zwei
Bedienten" -
Einer Kammerfrau? das soll ich wohl
sein?
Ja, mein schoenes Kind. -
Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt
Kammerfrau Kammerjungfer. - Ich hoere, die Polizei
ist sehr exakt; es moechte ein Missverstaendnis geben,
welches mir bei meinem Aufgebote einmal Haendel
machen koennte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer
und heisse Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig;
Franziska Willig. Ich bin auch aus Thueringen.
Mein Vater war Mueller auf einem von den Guetern des
gnaedigen Fraeuleins. Es heisst Klein-Rammsdorf. Die
Muehle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf
den Hof und ward mit dem gnaedigen Fraeulein erzogen.
Wir sind von einem Alter, kuenftige Lichtmess
einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das
gnaedige Fraeulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein,
wenn mich die Polizei recht kennt.
Gut, mein schoenes Kind, das will ich mir
auf weitere Nachfrage merken. - Aber nunmehr, gnaediges
Fraeulein, Dero Verrichtungen allhier? -
Meine Verrichtungen?
Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Koenigs Majestaet?
O nein!
Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?
Auch nicht.
Oder -
Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen
eigenen Angelegenheiten hier.
Ganz wohl, gnaediges Fraeulein, aber wie
nennen sich diese eigne Angelegenheiten?
Sie nennen sich - Franziska, ich
glaube, wir werden vernommen.
Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht
die Geheimnisse eines Frauenzimmers zu wissen verlangen?
Allerdings, mein schoenes Kind: die Polizei
will alles, alles wissen; und besonders Geheimnisse.
Ja nun, gnaediges Fraeulein; was ist zu
tun? - So hoeren Sie nur, Herr Wirt - aber dass es ja
unter uns und der Polizei bleibt! -
Was wird ihm die Naerrin sagen?
Wir kommen, dem Koenige einen Offizier
wegzukapern -
Wie? was? Mein Kind! mein Kind! -
Oder uns von dem Offiziere kapern zu
lassen. Beides ist eins.
Franziska, bist du toll? - Herr Wirt,
die Nasenweise hat Sie zum besten. -
Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner
Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur
mit einer hohen Polizei -
Wissen Sie was, Herr Wirt? - Ich
weiss mich in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich daechte,
Sie leissen die ganze Schreiberei bis auf die Ankunft
meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt,
warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglueckte
zwei Meilen von hier mit seinem Wagen und
wollte durchaus nicht, dass mich dieser Zufall eine
Nacht mehr kosten sollte. Ich musste also voran. Wenn
er vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es
das laengste.
Nun ja, gnaediges Fraeulein, so wollen wir ihn erwarten.
Er wird auf Ihre Fragen besser antworten
koennen. Er wird wissen, wem und wie weit er
sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschaeften
anzeigen muss und was er davon verschweigen darf.
Desto besser! Freilich, freilich kann man
von einem jungen Maedchen (die Franziska mit einer
bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen, dass es
eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft
traktiere -
Und die Zimmer fuer ihn sind doch
in Bereitschaft, Herr Wirt?
Voellig, gnaediges Fraeulein, voellig; bis auf
das eine -
Aus dem Sie vielleicht auch noch erst
einen ehrlichen Mann vertreiben muessen?
Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnaediges
Fraeulein, sind wohl sehr mitleidig. -
Doch, Herr Wirt, das haben Sie
nicht gut gemacht. Lieber haetten Sie uns nicht einnehmen
sollen.
Wieso, gnaediges Fraeulein, wieso?
Ich hoere, dass der Offizier, welcher
durch uns verdraengt worden -
Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnaediges
Fraeulein. -
Wenn schon! -
Mit dem es zu Ende geht. -
Desto schlimmer! Es soll ein sehr
verdienter Mann sein.
Ich sage Ihnen ja, dass er abgedankt ist.
Der Koenig kann nicht alle verdiente
Maenner kennen.
O gewiss, er kennt sie, er kennt sie alle. -
So kann er sie nicht alle belohnen.
Sie waeren alle belohnt, wenn sie darnach
gelebt haetten. Aber so lebten die Herren waehrend des
Krieges, als ob ewig Krieg bleiben wuerde; als ob das
Dein und Mein ewig aufgehoben sein wuerde. Jetzt
liegen alle Wirtshaeuser und Gasthoefe von ihnen voll,
und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in acht zu nehmen.
Ich bin mit diesem noch so ziemlich weggekommen.
Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch
noch Geldeswert, und zwei, drei Monate haette ich ihn
freilich noch ruhig koennen sitzen lassen. Doch besser
ist besser. - Apropos, gnaediges Fraeulein; Sie verstehen
sich doch auf Juwelen? -
Nicht sonderlich.
Was sollten Ihro Gnaden nicht? - Ich muss
Ihnen einen Ring zeigen, einen kostbaren Ring. Zwar
gnaediges Fraeulein haben da auch einen sehr schoenen
am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muss
ich mich wundern, dass er dem meinigen so aehnlich ist.
- Oh! sehen Sie doch, sehen Sie doch! (Indem er ihn
aus dem Futteral herausnimmt und dem Fraeulein zureicht.)
Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein
wiegt ueber fuenf Karat.
(ihn betrachtend). Wo bin ich? Was
seh ich? Dieser Ring -
Ist seine funfzehnhundert Taler unter
Bruedern wert.
Franziska! - Sieh doch! -
Ich habe mich auch nicht einen Augenblick
bedacht, achtzig Pistolen darauf zu leihen.
Erkennst du ihn nicht, Franziska?
Der naemliche! - Herr Wirt, wo haben
Sie diesen Ring her? -
Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein
Recht daran?
Wir kein Recht an diesem Ringe? - Inwaerts
auf dem Kasten muss des Fraeuleins verzogener
Name stehn. - Weisen Sie doch, Fraeulein.
Er ist's er ist's! - Wie kommen Sie
zu diesem Ringe, Herr Wirt?
Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt.
- Gnaediges Fraeulein, gnaediges Fraeulein, Sie werden
mich nicht in Schaden und Unglueck bringen wollen?
Was weiss ich, wo sich der Ring eigentlich herschreibt?
Waehrend des Krieges hat manches seinen Herrn sehr
oft, mit und ohne Vorbewusst des Herrn, veraendert.
Und Krieg war Krieg. Es werden mehr Ringe aus
Sachsen ueber die Grenze gegangen sein. - Geben Sie
mir ihn wieder, gnaediges Fraeulein, geben Sie mir ihn
wieder!
Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?
Von einem Manne, dem ich so was nicht
zutrauen kann, von einem sonst guten Manne -
Von dem besten Manne unter der
Sonne, wenn Sie ihn von seinem Eigentuemer haben. -
Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es selbst,
oder wenigstens muss er ihn kennen.
Wer denn? wen denn, gnaediges Fraeulein?
Hoeren Sie denn nicht? unsern Major.
Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer
vor Ihnen bewohnt hat, und von dem ich ihn habe.
Major von Tellheim.
Von Tellheim, ja! Kennen Sie ihn?
Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim
ist hier? Er? er hat in diesem Zimmer gewohnt?
Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt der
Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen
schuldig? -- Franziska, die Schatulle her! Schliess auf!
(Indem sie Franziska auf den Tisch setzet und oeffnet.)
Was ist er Ihnen schuldig? Wem ist er mehr schuldig?
Bringen Sie mir alle seine Schuldner. Hier ist Geld.
Hier sind Wechsel. Alles ist sein!
Was hoere ich?
Wo ist er? wo ist er?
Noch vor einer Stunde war er hier.
Haesslicher Mann, wie konnten Sie
gegen ihn so unfreundlich, so hart, so grausam sein?
Ihro Gnaden verzeihen -
Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur
Stelle.
Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen
Ihro Gnaden, dass er ihn aufsuchen soll?
Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; fuer
diesen Dienst allein will ich es vergessen, wie schlecht
Sie mit ihm umgegangen sind. -
Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! (Stoesst
ihn heraus.)
Nun habe ich ihn wieder, Franziska!
Siehst du, nun habe ich ihn wieder! Ich weiss nicht, wo
ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit, liebe Franziska.
Aber freilich, warum du? Doch du sollst dich,
du musst dich mit mir freuen. Komm, Liebe, ich will
dich beschenken, damit du dich mit mir freuen kannst.
Sprich, Franziska, was soll ich dir geben? Was steht dir
von meinen Sachen an? Was haettest du gern? Nimm,
was du willst, aber freue dich nur. Ich sehe wohl, du
wirst dir nichts nehmen. Warte! (sie fasst in die Schatulle)
da, liebe Franziska (und gibt ihr Geld), kaufe
dir, was du gern haettest. Fordere mehr, wenn es nicht
zulangt. Aber freue dich nur mit mir. Es ist so traurig,
sich allein zu freuen. Nun, so nimm doch -
Ich stehle es Ihnen, Fraeulein; Sie sind
trunken, von Froehlichkeit trunken. -
Maedchen, ich habe einen zaenkischen
Rausch, nimm oder - (Sie zwingt ihr das Geld in die
Hand.) Und wenn du dich bedankest! - Warte; gut,
dass ich daran denke. (Sie greift nochmals in die Schatulle
nach Geld.) Das, liebe Franziska, stecke beiseite,
fuer den ersten blessierten armen Soldaten, der uns anspricht. -
Nun? Wird er kommen?
Der widerwaertige, ungeschliffene Kerl!
Wer?
Sein Bedienter. Er weigert sich, nach ihm
zu gehen.
Bringen Sie doch den Schurken her. -
Des Majors Bediente kenne ich ja wohl alle. Welcher
waere denn das?
Bringen Sie ihn geschwind her. Wenn
er uns sieht, wird er schon gehen.
(Der Wirt geht ab.)
Ich kann den Augenblick nicht erwarten.
Aber, Franziska, du bist noch immer so kalt?
Du willst dich noch nicht mit mir freuen?
Ich wollte von Herzen gern, wenn nur -
Wenn nur?
Wir haben den Mann wiedergefunden;
aber wie haben wir ihn wiedergefunden? Nach allem,
was wir von ihm hoeren, muss es ihm uebel gehn. Er
muss ungluecklich sein. das jammert mich.
Jammert dich? - Lass dich dafuer umarmen,
meine liebste Gespielin! das will ich dir nie
vergessen! - Ich bin nur verliebt, und du bist gut. -
Mit genauer Not bring ich ihn.
Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.
Mein Freund, ist Er bei dem Major
von Tellheim?
Ja.
Wo ist Sein Herr?
Nicht hier.
Aber Er weiss ihn zu finden?
Ja.
Will Er ihn nicht geschwind herholen?
Nein.
Er erweiset mir damit einen Gefallen. -
Ei!
Und Seinem Herrn einen Dienst. -
Vielleicht auch nicht. -
Woher vermutet Er das?
Sie sind doch die fremde Herrschaft, die ihn
schon diesen Morgen komplimentieren lassen?
Ja.
So bin ich schon recht.
Weiss Sein Herr meinen namen?
Nein; aber er kann die allzu hoeflichen Damen
ebensowenig leiden als die allzu groben Wirte.
Das soll wohl mit auf mich gehn?
Ja.
So lass Er es doch dem gnaedigen Fraeulein
nicht entgelten, und hole Er ihn geschwind her.
(leise zur Franziska). Franziska, gib
ihm etwas -
(die dem Just Geld in die Hand druecken
will). Wir verlangen Seine Dienste nicht umsonst. -
Und ich Ihr Geld nicht ohne Dienste.
Eines fuer das andere.
Ich kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuraeumen.
Das tu ich jetzt, und daran bitte ich, mich
nicht weiter zu verhindern. Wenn ich fertig bin, so will
ich es ihm ja wohl sagen, dass er herkommen kann. Er
ist nebenan auf dem Kaffeehause; und wenn er da
nichts Bessers zu tun findet, wird er auch wohl kommen.
(Will fortgehen.)
So warte Er doch. - Das gnaedige Fraeulein
ist des Herrn Majors - Schwester. -
Ja, ja, seine Schwester.
Das weiss ich besser, dass der Major keine Schwestern
hat. Er hat mich in sechs Monaten zweimal an
seine Familie nach Kurland geschickt. - Zwar es gibt
mancherlei Schwestern -
Unverschaemter!
Muss man es nicht sein, wenn einen die Leute
sollen gehn lassen? (Geht ab.)
Das ist ein Schlingel!
Ich sagt' es ja. Aber lassen Sie ihn nur!
Weiss ich doch nunmehr, wo sein Herr ist. Ich will ihn
gleich selbst holen. - Nur, gnaediges Fraeulein, bitte ich
untertaenigst, sodann ja mich bei dem Herrn Major zu
entschuldigen, dass ich so ungluecklich gewesen, wider
meinen Willen einen Mann von seinen Verdiensten -
Gehen Sie nur geschwind, Herr Wirt.
Das will ich alles wieder gutmachen. (Der Wirt geht ab
und hierauf) Franziska, lauf ihm nach: er soll ihm
meinen Namen nicht nennen!
(Franziska, dem Wirte nach.)
Ich habe ihn wieder! - Bin ich allein? -
Ich will nicht umsonst allein sein.(Sie faltet die
Haende.) Auch bin ich nicht allein! (Und blickt aufwaerts.)
Ein einziger dankbarer Gedanke gen Himmel
ist das willkommenste Gebet! - Ich hab ihn, ich hab
ihn! (Mit ausgebreiteten Armen.) Ich bin gluecklich!
und froehlich! Was kann der Schoepfer lieber sehen als
ein froehliches Geschoepf! - (Franziska koemmt.) Bist du
wieder da, Franziska? - Er jammert dich? Mich jammert
er nicht. Unglueck ist auch gut. Vielleicht, dass ihm
der Himmel alles nahm, um ihm in mir alles wiederzugeben!
Er kann den Augenblick hier sein. - Sie
sind noch in Ihrem Neglige, gnaediges Fraeulein. Wie,
wenn Sie sich geschwind ankleideten?
Geh! ich bitte dich. Er wird mich
von nun an oeftrer so als geputzt sehen.
Oh, Sie kennen sich, mein Fraeulein.
(nach einem kurzen Nachdenken).
Wahrhaftig, Maedchen, du hast es wiederum getroffen.
Wenn wir schoen sind, sind wir ungeputzt
am schoensten.
Muessen wir denn schoen sein? - Aber
dass wir uns schoen glauben, war vielleicht notwendig.
- Nein, wenn ich ihm, ihm nur schoen bin! - Franziska,
wenn alle Maedchens so sind, wie ich mich jetzt fuehle,
so sind wir - sonderbare Dinger. - Zaertlich und stolz,
tugendhaft und eitel, wolluestig und fromm - Du wirst
mich nicht verstehen. Ich verstehe mich wohl selbst
nicht. - Die Freude macht drehend, wirblicht. -
Fassen Sie sich, mein Fraeulein; ich hoere
kommen -
Mich fassen? Ich sollte ihn ruhig
empfangen?
(tritt herein, und indem er sie erblickt,
flieht er auf sie zu). Ah! meine Minna! -
(ihm entgegenfliehend). Ah! mein
Tellheim! -
(stutzt auf einmal und tritt wieder zurueck).
Verzeihen Sie, gnaediges Fraeulein - das Fraeulein
von Barnhelm hier zu finden -
Kann Ihnen doch so gar unerwartet
nicht sein? - (Indem sie ihm naeher tritt und er mehr
zurueckweicht.) Verzeihen? Ich soll Ihnen verzeihen,
dass ich noch Ihre Minna bin? Verzeih' Ihnen der
Himmel, dass ich noch das Fraeulein von Barnhelm
bin! -
Gnaediges Fraeulein - (Sieht starr auf
den Wirt und zuckt die Schultern.)
(wird den Wirt gewahr und winkt
der Franziska). Mein Herr -
Wenn wir uns beiderseits nicht irren -
Franziska. Je, Herr Wirt, wen bringen Sie uns denn
da? Geschwind, kommen Sie, lassen Sie uns den Rechten
suchen.
Ist es nicht der Rechte? Ei ja doch!
Ei nicht doch! Geschwind, kommen Sie;
ich habe Ihrer Jungfer Tochter noch keinen guten Morgen
gesagt.
Oh! viel Ehre - (Doch ohne von der Stelle
zu gehn.)
(fasst ihn an). Kommen Sie, wir wollen
den Kuechenzettel machen. - Lassen Sie sehen, was wir
haben werden -
Sie sollen haben, vors erste -
Still, ja stille! Wenn das Fraeulein jetzt
schon weiss, was sie zu Mittag speisen soll, so ist es um
ihren Appetit geschehen.Kommen Sie, das muessen Sie
mir allein sagen. (Fuehret ihn mit Gewalt ab.)
Nun? irren wir uns noch?
Dass es der Himmel wollte! - Aber es
gibt nur eine, und Sie sind es. -
Welche Umstaende! Was wir uns zu
sagen haben, kann jedermann hoeren.
Sie hier? Was suchen Sie hier, gnaediges
Fraeulein?
Nichts suche ich mehr. (Mit offnen
Armen auf ihn zugehend.) Alles, was ich suchte, habe
ich gefunden.
(zurueckweichend). Sie suchten einen
gluecklichen, einen Ihrer Liebe wuerdigen Mann, und
finden - einen Elenden.
So lieben Sie mich nicht mehr? -
Und lieben eine andere?
Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fraeulein,
der eine andere nach Ihnen lieben kann.
Sie reissen nur einen Stachel aus
meiner Seele. - Wenn ich Ihr Herz verloren habe, was
liegt daran, ob mich Gleichgueltigkeit oder maechtigere
Reize darum gebracht? - Sie lieben mich nicht mehr:
und lieben auch keine andere? - Ungluecklicher Mann,
wenn Sie gar nichts lieben! -
Recht, gnaediges Fraeulein; der Unglueckliche
muss gar nichts lieben. Er verdient sein Unglueck,
wenn er diesen Sieg nicht ueber sich selbst zu erhalten
weiss; wenn er es sich gefallen lassen kann, dass die,
welche er liebt, an seinem Unglueck Anteil nehmen
duerfen. - Wie schwer ist dieser Sieg! - Seitdem mir
Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von
Barnhelm zu vergessen: was fuer Muehe habe ich angewandt!
Eben wollte ich anfangen zu hoffen, dass
diese Muehe nicht ewig vergebens sein wuerde: - und
Sie erscheinen, mein Fraeulein! -
Versteh ich Sie recht? - Halten Sie,
mein Herr; lassen Sie sehen, wo wir sind, ehe wir uns
weiter verirren! - Wollen Sie mir die einzige Frage
beantworten?
Jede, mein Fraeulein -
Wollen Sie mir auch ohne Wendung,
ohne Winkelzug antworten? Mit nichts als einem trockenen
Ja oder Nein?
Ich will es - wenn ich kann.
Sie koennen es. - Gut: ohngeachtet
der Muehe, die Sie angewendet, mich zu vergessen -
lieben Sie mich noch, Tellheim?
Mein Fraeulein, diese Frage -
Sie haben versprochen, mit nichts als
Ja oder Nein zu antworten.
Und hinzugesetzt: wenn ich kann.
Sie koennen; Sie muessen wissen, was
in Ihrem Herzen vorgeht. - Lieben Sie mich noch,
Tellheim? - Ja oder Nein.
Wenn mein Herz -
Ja oder Nein!
Nun, Ja!
Ja?
Ja, ja! - Allein -
Geduld! - Sie lieben mich noch:
genug fuer mich. - In was fuer einen Ton bin ich mit
Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer, anstekkender
Ton. - Ich nehme den meinigen wieder an. -
Nun, mein lieber Ungluecklicher, Sie lieben mich noch
und haben Ihre Minna noch und sind ungluecklich?
Hoeren Sie doch, was Ihre Minna fuer ein eungebildetes,
albernes Ding war - ist. Sie liess, sie lasst sich traeumen,
Ihr ganzes Glueck sei sie. - Geschwind, kramen Sie Ihr
Unglueck aus. Sie mag versuchen, wieviel sie dessen
aufwiegt. - Nun?
Mein Fraeulein, ich bin nicht gewohnt
zu klagen.
Sehr wohl. Ich wuesste auch nicht, was
mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger
gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse kalte,
nachlaessige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem
Ungluecke zu sprechen -
Die im Grunde doch auch geprahlt und
geklagt ist.
Oh, mein Rechthaber, so haetten Sie
sich auch gar nicht ungluecklich nennen sollen. - Ganz
geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus. - Eine
Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen
befiehlt? - Ich bin eine grosse Liebhaberin von
Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung fuer die Notwendigkeit. -
Aber lassen Sie doch hoeren, wie vernuenftig
diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.
Wohl denn; so hoeren Sie, mein Fraeulein.
- Sie nennen mich Tellheim; der Name trifft ein. -
Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in Ihrem
Vaterlande gekannt haben; der bluehende Mann, voller
Ansprueche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen
Koerpers, seiner ganzen Seele maechtig war, vor dem die
Schranken der Ehre und des Glueckes eroeffnet standen,
der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er schon
Ihrer noch nicht wuerdig war, taeglich wuerdiger zu werden
hoffen durfte. - Dieser Tellheim bin ich ebensowenig,
als ich mein Vater bin. Beide sind gewesen. -
Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner
Ehre Gekraenkte, der Krueppel, der Bettler. - Jenem,
mein Fraeulein, versprachen Sie sich: wollen Sie diesem
Wort halten? -
Das klingt sehr tragisch! - Doch,
mein Herr, bis ich jenen wiederfinde - in die Tellheims
bin ich nun einmal vernarret -, dieser wird mir schon
aus der Not helfen muessen. - Deine Hand, lieber Bettler!
(Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)
(der die andere Hand mit dem Hute vor
das Gesicht schlaegt und sich von ihr abwendet). Das ist
zu viel! - Wo bin ich? - Lassen Sie mich, Fraeulein!
Ihre Guete foltert mich! - Lassen Sie mich.
Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?
Von Ihnen! -
Von mir? (Indem sie seine Hand an
ihre Brust zieht.) Traeumer!
Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Fuessen werfen.
Von mir?
Von Ihnen. - Sie nie, nie wiederzusehen. -
Oder doch so entschlossen, so fest entschlossen
- keine Niedertraechtigkeit zu begehen - Sie keine Unbesonnenheit
begehen zu lassen. - Lassen Sie mich,
Minna! (Reisst sich los und ab.)
(ihm nach). Minna Sie lassen? Tellheim! Tellheim!
Muss ich doch noch einmal in das verdammte Haus
kommen! - Ein Briefchen von meinem Herrn an das
gnaedige Fraeulein, das seine Schwester sein will. - Wenn
sich nur da nichts anspinnt! - Sonst wird des Brieftragens
kein Ende werden. - Ich waer es gern los, aber
ich moechte auch nicht gern ins Zimmer hinein. - Das
Frauenszeug fragt so viel, und ich antworte so ungern!
- Ha, die Tuere geht auf. Wie gewuenscht! das Kammerkaetzchen!
(zur Tuere herein, aus der sie koemmt).
Sorgen Sie nicht; ich will schon aufpassen. - Sieh!
(indem sie Justen gewahr wird) da stiesse mir ja gleich
was auf. Aber mit dem Vieh ist nichts anzufangen.
Ihr Diener, Jungfer -
Ich wollte so einen Diener nicht -
Nu, nu, verzeih Sie mir die Redensart! - Da bring
ich ein Briefchen von meinem Herrn an Ihre Herrschaft,
das gnaedige Fraeulein - Schwester. - War's nicht
so? Schwester.
Geb Er her! (Reisst ihm den Brief aus
der Hand.)
Sie soll so gut sein, laesst mein Herr bitten, und es
uebergeben. Hernach soll Sie so gut sein, laesst mein Herr
bitten - dass Sie nicht etwa denkt, ich bitte was! -
Nun denn?
Mein Herr versteht den Rummel. Er weiss, dass
der Weg zu den Fraeuleins durch die Kammermaedchen
geht: - bild ich mir ein! - Die Jungfer soll also so gut
sein - laesst mein Herr bitten - und ihm sagen lassen, ob
er nicht das Vergnuegen haben koennte, die Jungfer auf
ein Viertelstuendchen zu sprechen.
Mich?
Verzeih Sie mir, wenn ich Ihr einen unrechten
Titel gebe. - Ja, Sie! - Nur auf ein Viertelstuendchen;
aber allein, ganz allein, insgeheim, unter vier Augen.
Er haette Ihr was sehr Notwendiges zu sagen.
Gut! ich habe ihm auch viel zu sagen. -
Er kann nur kommen, ich werde zu seinem Befehle
sein.
Aber, wenn kann er kommen? Wenn ist es Ihr am
gelegensten, Jungfer? So in der Daemmerung? -
Wie meint Er das? - Sein Herr kann
kommen, wenn er will - und damit packe Er sich nur!
Herzlich gern! (Will fortgehen.)
Hoer Er doch; noch auf ein Wort. - Wo
sind denn die andern Bedienten des Majors?
Die andern? Dahin, dorthin, ueberallhin.
Wo ist Wilhelm?
Der Kammerdiener? den laesst der Major reisen.
So? Und Philipp, wo ist der?
Der Jaeger? den hat der Herr aufzuheben gegeben.
Weil er jetzt keine Jagd hat, ohne Zweifel. -
Aber Martin?
Der Kutscher? der ist weggeritten.
Und Fritz?
Der Laeufer? der ist avanciert.
Wo war Er denn, als der Major bei uns
in Thueringen im Winterquartiere stand? Er war wohl
noch nicht bei ihm?
O ja, ich war Reitknecht bei ihm, aber ich lag im
Lazarett.
Reitknecht? Und jetzt is Er?
Alles in allem; Kammerdiener und Jaeger, Laeufer
und Reitknecht.
Das muss ich gestehen! So viele gute,
tuechtige Leute von sich zu lassen und gerade den
Allerschlechtesten zu behalten! Ich moechte doch wissen,
was Sein Herr an Ihm faende!
Vielleicht findet er, dass ich ein ehrlicher Kerl bin.
Oh, man ist auch verzweifelt wenig,
wenn man weiter nichts ist als ehrlich. - Wilhelm war
ein andrer Mensch - Reisen laesst ihn der Herr?
Ja, er laesst ihn - da er's nicht hindern kann.
Wie?
Oh, Wilhelm wird sich alle Ehre auf seinen Reisen
machen. Er hat des Herrn ganze Garderobe mit.
Was? Er ist doch nicht damit durchgegangen?
Das kann man nun eben nicht sagen; sondern als
wir von Nuernberg weggingen, ist er uns nur nicht
damit nachgekommen.
Oh, der Spitzbube!
Es war ein ganzer Mensch! Er konnte frisieren
und rasieren und parlieren - und scharmieren - Nicht wahr?
Sonach haette ich den Jaeger nicht von mir
getan, wenn ich wie der Major gewesen waere. Konnte
er ihn schon nicht als Jaeger nuetzen, so war es doch
sonst ein tuechtiger Bursche. - Wem hat er ihn denn
aufzuheben gegeben?
Dem Kommandanten von Spandau.
Der Festung? Die Jagd auf den Waellen
kann doch da auch nicht gross sein.
Oh, Philipp jagt auch da nicht.
Was tut er denn?
Er karrt.
Er karrt?
Aber nur auf drei Jahr. Er machte ein kleines
Komplott unter des Herrn Kompanie und wollte sechs
Mann durch die Vorposten bringen. -
Ich erstaune, der Boesewicht!
Oh, es ist ein tuechtiger Kerl! Ein Jaeger, der funfzig
Meilen in der Runde durch Waelder und Moraeste
alle Fusssteige, alle Schleifwege kennt. Und schiessen
kann er!
Gut, dass der Major nur noch den braven
Kutscher hat!
Hat er ihn noch?
Ich denke, Er sagte, Martin waere weggeritten?
So wird er doch wohl wiederkommen?
Meint Sie?
Wo ist er denn hingeritten?
Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit
des Herrn einzigem und letztem Reitpferde - nach der
Schwemme.
Und ist noch nicht wieder da? Oh, der
Galgenstrick!
Die Schwemme kann den braven Kutscher auch
wohl verschwemmt haben! - Es war gar ein rechter
Kutscher! Er hatte in Wien zehn Jahre gefahren. So
einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die
Pferde im vollen Rennen waren, so durfte er nur
machen: "Burr!" und auf einmal standen sie wie die
Mauern. Dabei war er ein ausgelernter Rossarzt!
Nun ist mir fuer das Avancement des
Laeufers bange.
Nein, nein, damit hat's seine Richtigkeit. Er ist
Trommelschlaeger bei einem Garnisonregimente geworden.
Dacht ich's doch!
Fritz hing sich an ein liederliches Mensch, kam
des Nachts niemals nach Hause, machte auf des Herrn
Namen ueberall Schulden und tausend infame Streiche.
Kurz, der Major sahe, dass er mit allerGewalt hoeher
wollte: (das Haengen pantomimisch anzeigend) er
branchte ihn also auf guten Weg.
Oh, der Bube!
Aber ein perfekter Laeufer ist er, das ist gewiss.
Wenn ihm der Herr funfzig Schritte vorgab, so konnte
er ihn mit seinem besten Renner nicht einholen. Fritz
hingegen kann dem Galgen tausend Schritte vorgeben
und, ich wette mein Leben, er holt ihn ein. - Es waren
wohl alles Ihre guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm
und der Philipp, der Martin und der Fritz? - Nun,
Just empfiehlt sich! (Geht ab.)
(die ihm ernsthaft nachsieht). Ich verdiene
den Biss! - Ich bedanke mich, Just. Ich setzte die
Ehrlichkeit zu tief herab. Ich will die Lehre nicht vergessen. -
Ah! der unglueckliche Mann! (Kehrt sich um
und will nach dem Zimmer des Fraeuleins gehen, indem
der Wirt koemmt.)
Warte Sie doch, mein schoenes Kind.
Ich habe jetzt nicht Zeit, Herr Wirt -
Nun ein kleines Augenblickchen! - Noch
keine Nachricht weiter von dem Herrn Major? Das
konnte doch unmoeglich sein Abschied sein! -
Was denn?
Hat es Ihr das gnaedige Fraeulein nicht erzaehlt? -
Als ich Sie, mein schoenes Kind, unten in der
Kueche verliess, so kam ich von ungefaehr wieder hier
in den Saal -
Von ungefaehr, in der Absicht, ein wenig
zu horchen.
Ei, mein Kind, wie kann Sie das von mir
denken? Einem Wirte laesst nichts uebler als Neugierde.
- Ich war nicht lange hier, so prellte auf einmal die
Tuere bei dem gnaedigen Fraeulein auf. Der Major stuerzte
heraus, das Fraeulein ihm nach, beide in einer Bewegung,
mit Blicken, in einer Stellung - so was laesst sich
nur sehen. Sie ergriff ihn, er riss sich los, sie ergriff ihn
wieder. "Tellheim!" - Fraeulein, lassen Sie mich!" -
"Wohin?" - So zog er sie bis an die Treppe. Mir war
schon bange, er wuerde sie mit herabreissen. Aber er
wand sich noch los. Das Fraeulein blieb an der obersten
Schwelle stehn, sah ihm nach, rief ihm nach, rang die
Haende. Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem
Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe, von der
Treppe in dem Saale hin und wider. Hier stand ich,
hier ging sie dreimal bei mir vorbei, ohne mich zu
sehen. Endlich war es, als ob sie mich saehe, aber, Gott
sei bei uns! ich glaube, das Fraeulein sahe mich fuer Sie
an, mein Kind. "Franziska", rief sie, die Augen auf
mich gerichtet, "bin ich nun gluecklich?" Darauf sahe sie
steif an die Decke und wiederum: "Bin ich nun gluecklich?"
Darauf wischte sie sich Traenen aus dem Auge
und laechelte und fragte mich wiederum: "Franziska,
bin ich nun gluecklich?" - Wahrhaftig, ich wusste nicht,
wie mir war. Bis sie nach ihrer Tuere lief, da kehrte sie
sich nochmals nach mir um: "So komm doch, Franziska;
wer jammert dich nun?" - Und damit hinein.
Oh, Herr Wirt, das hat Ihnen getraeumt.
Getraeumt? Nein, mein schoenes Kind, so
umstaendlich traeumt man nicht. - Ja, ich wollte wieviel
drum geben - ich bin nicht neugierig - aber ich wollte
wieviel drum geben, wenn ich den Schluessel dazu haette.
Den Schluessel? zu unsrer Tuere? Herr
Wirt, der steckt innerhalb; wir haben ihn zur Nacht
hereingezogen; wir sind furchtsam.
Nicht so einen Schluessel; ich will sagen,
mein schoenes Kind, den Schluessel, die Auslegung gleichsam,
so den eigentlichen Zusammenhang von dem, was
ich gesehen. -
Ja so! - Nun, adieu, Herr Wirt. Werden
wir bald essen, Herr Wirt?
Mein schoenes Kind, nicht zu vergessen, was
ich eigentlich sagen wollte.
Nun? aber nur kurz -
Das gnaedige Fraeulein hat noch meinen
Ring; ich nenne ihn meinen -
Er soll Ihnen unverloren sein.
Ich trage darum auch keine Sorge; ich will's
nur erinnern. sieht Sie, ich will ihn gar nicht einmal
wiederhaben. Ich kann mir doch wohl an den Fingern
abzaehlen, woher sie den Ring kannte, und woher er
dem ihrigen so aehnlich sah. Er ist in ihren Haenden am
besten aufgehoben. Ich mag ihn gar nicht mehr und
will indes die hundert Pistolen, die ich darauf gegeben
habe, auf des gnaedigen Fraeuleins Rechnung setzen.
Nicht so recht, mein schoenes Kind?
Da ist er ja!
Hundert Pistolen? Ich meinte, nur achtzig.
Es ist wahr, nur neunzig, nur neunzig. Das
will ich tun, mein schoenes Kind, das will ich tun.
Alles das wird sich finden, Herr Wirt.
(der ihnen hinterwaerts naeher koemmt und auf
einmal der Franziska auf die Schulter klopft). Frauenzimmerchen!
Frauenzimmerchen!
(erschrickt). He!
Erschrecke Sie nicht! - Frauenzimmerchen,
Frauenzimmerchen, ich sehe, Sie ist huebsch und ist wohl
gar fremd - Und huebsche fremde Leute muessen gewarnet
werden - Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen,
nehm Sie sich vor dem Manne in acht! (Auf den
Wirt zeigend.)
Je, unvermutete Freude! Herr Paul Werner!
Willkommen bei uns, willkommen! - Ah, es ist
doch immer noch der lustige, spasshafte, ehrliche Werner! -
Sie soll sich vor mir in acht nehmen, mein schoenes
Kind! Ha, ha, ha!
Geh Sie ihm ueberall aus dem Wege!
Mir! mir! - Bin ich denn so gefaehrlich? -
Ha, ha, ha! Hoer' Sie doch, mein schoenes Kind! Wie
gefaellt Ihr der Spass?
Dass es doch immer Seinesgleichen fuer Spass
erklaeren, wenn man ihnen die Wahrheit sagt.
Die Wahrheit! ha, ha, ha! - Nicht wahr,
mein schoenes Kind, immer besser! Der Mann kann
spassen! Ich gefaehrlich? - ich? - So vor zwanzig Jahren
war was dran. Ja, ja, mein schoenes Kind, da war
ich gefaehrlich; da wusste manche davon zu sagen; aber
jetzt -
Oh, ueber den alten Narrn!
Da steckt's eben! Wenn wir alt werden,
ist es mit unsrer Gefaehrlichkeit aus. Es wird Ihm auch
nicht besser gehen, Herr Werner!
Potz Geck und kein Ende! - Frauenzimmerchen,
so viel Verstand wird Sie mir wohl zutrauen, dass
ich von der Gefaehrlichkeit nicht rede. Der eine Teufel
hat ihn verlassen, aber es sind dafuer sieben andre in
ihn gefahren -
Oh, hoer Sie doch, hoer Sie doch! Wie er das
nun wieder so herumzubringen weiss! - Spass ueber
Spass und immer was Neues! Oh, es ist ein vortrefflicher
Mann, der Herr Paul Werner! - (Zur Franziska,
als ins Ohr.) Ein wohlhabender Mann und noch
ledig. Er hat drei Meilen von hier ein schoenes Freischulzengerichte.
Der hat Beute gemacht im Kriege! -
Und ist Wachtmeister bei unserm Herrn Major gewesen.
Oh, das ist ein Freund von unserm Herrn
Major! das ist ein Freund! der sich fuer ihn totschlagen
liesse! -
Ja! und das ist ein Freund von meinem Major!
das ist ein Freund! - den der Major sollte totschlagen lassen.
Wie? was? - Nein, Herr Werner, das ist
nicht guter Spass. - Ich kein Freund vom Herrn
Major? - Nein, den Spass versteh ich nicht.
Just hat mir schoene Dinge erzaehlt.
Just? Ich dacht's wohl, dass Just durch Sie
spraeche. Just ist ein boeser, garstiger Mensch. Aber hier
ist ein schoenes Kind zur Stelle; das kann reden; das
mag sagen, ob ich kein Freund von dem Herrn Major
bin? Ob ich ihm keine Dienste erwiesen habe? Und
warum sollte ich nicht sein Freund sein? Ist er nicht
ein verdienter Mann? Es ist wahr, er hat das Unglueck
gehabt, abgedankt zu werden: aber was tut das? Der
Koenig kann nicht alle verdiente Maenner kennen, und
wenn er sie auch alle kennte, so kann er sie nicht alle
belohnen.
Das heisst Ihn Gott sprechen! - Aber Just -
freilich ist an Justen auch nicht viel Besonders, doch
ein Luegner ist Just nicht; und wenn das wahr waere,
was er mir gesagt hat -
Ich will von Justen nichts hoeren! Wie gesagt:
das schoene Kind hier mag sprechen! (Zu ihr ins
Ohr.) Sie weiss, mein Kind, den Ring! - Erzaehl' Sie es
doch Herrn Wernern. Da wird er mich besser kennenlernen.
Und damit es nicht herauskoemmt, als ob Sie
mir nur zu Gefallen rede, so will ich nicht einmal dabei
sein. Ich will nicht dabei sein; ich will gehn; aber Sie
sollen mir es wiedersagen, Herr Werner, Sie sollen mir
es wiedersagen, ob Just nicht ein garstiger Verleumder ist.
Frauenzimmerchen, kennt Sie denn meinen
Major?
Den Major von Tellheim? Jawohl kenn
ich den braven Mann.
Ist es nicht ein braver Mann? Ist Sie dem
Manne wohl gut? -
Vom Grund meines Herzens.
Wahrhaftig? Sieht Sie, Frauenzimmerchen;
nun koemmt Sie mir noch einmal so schoen vor. - Aber
was sind denn das fuer Dienste, die der Wirt unserm
Major will erwiesen haben?
Ich wuesste eben nicht; es waere denn, dass
er sich das Gute zuschreiben wollte, welches gluecklicherweise
aus seinem schurkischen Betragen entstanden.
So waere es ja wahr, was mir Just gesagt hat?
- (Gegen die Seite, wo der Wirt abgegangen.) Dein
Glueck, dass du gegangen bist! - Er hat ihm wirklich
die Zimmer ausgeraeumt? - So einme Manne so einen
Streich zu spielen, weil sich das Eselsgehirn einbildet,
dass der Mann kein Geld mehr habe! Der Major kein
Geld?
So? Hat der Major Geld?
Wie Heu! Er weiss nicht, wieviel er hat. Er
weiss nicht, wer ihm alles schuldig ist. Ich bin ihm selber
schuldig und bringe ihm hier ein altes Restchen.
Sieht Sie, Frauenzimmerchen, hier in diesem Beutelchen
(das er aus der einen Tasche zieht) sind hundert Louisdor
und in diesem Roellchen (das er aus der andern
zieht) hundert Dukaten. Alles sein Geld!
Wahrhaftig? Aber warum versetzt denn
der Major? Er hat ja einen Ring versetzt -
Versetzt! Glaub Sie doch so was nicht. Vielleicht,
dass er den Bettel hat gern wollen los sein.
Es ist kein Bettel! Es ist ein sehr kostbarer
Ring, den er wohl noch dazu von lieben Haenden hat.
Das wird's auch sein. Von lieben Haenden;
ja, ja! So was erinnert einen manchmal, woran man
nicht gern erinnert sein will. Drum schafft man's aus
den Augen.
Wie?
Dem Soldaten geht's in Winterquartieren
wunderlich. Da hat er nichts zu tun und pflegt sich und
macht vor langer Weile Bekanntschaften, die er nur auf
den Winter meinet und die das gute Herz, mit dem er
sie macht, fuer zeitlebens annimmt. Husch ist ihm denn
ein Ringelchen an den Finger praktiziert; er weiss
selbst nicht, wie es dran koemmt. Und nicht selten gaeb'
er gern den Finger mit drum, wenn er es nur wieder
loswerden koennte.
Ei! und sollte es dem Major auch so gegangen sein?
Ganz gewiss. Besonders in Sachsen; wenn er
zehn Finger an jeder Hand gehabt haette, er haette sie
alle zwanzig voller Ringe gekriegt.
(beiseite). Das klingt ja ganz besonders
und verdient untersucht zu werden. - Herr Freischulze
oder Herr Wachmeister -
Frauenzimmerchen, wenn's Ihr nichts verschlaegt: -
Herr Wachtmeister, hoere ich am liebsten.
Nun, Herr Wachtmeister, hier habe ich
ein Briefchen von dem Herrn Major an meine Herrschaft.
Ich will es nur geschwind hereintragen und bin
gleich wieder da. Will Er wohl so gut sein und so lange
hier warten? Ich moechte gar zu gern mehr mit Ihm
plaudern.
Plaudert Sie gern, Frauenzimmerchen? Nun
meinetwegen: geh Sie nur; ich plaudre auch gern; ich
will warten.
Oh, warte Er doch ja! (Geht ab.)
Das ist kein unebenes Frauenzimmerchen! - Aber ich
haette ihr doch nicht versprechen sollen zu warten. -
Denn das Wichtigste waere wohl, ich suchte den Major
auf. - Er will mein Geld nicht und versetzt lieber? -
Daran kenn ich ihn. - Es faellt mir ein Schneller ein. -
Als ich vor vierzehn Tagen in der Stadt war, besuchte
ich die Rittmeisterin Marloff. Das arme Weib lag
krank und jammerte, dass ihr Mann dem Major vierhundert
Taler schuldig geblieben waere, die sie nicht
wuesste, wie sie sie bezahlen sollte. Heute wollte ich sie
wieder besuchen - ich wollte ihr sagen, wenn ich das
Geld fuer mein Guetchen ausgezahlt kriegte, dass ich ihr
fuenfhundert Taler leihen koennte. - Denn ich muss ja
wohl was davon in Sicherheit bringen, wenn's in Persien
nicht geht. - Aber sie war ueber alle Berge. Und
ganz gewiss wird sie dem Major nicht haben bezahlen
koennen. - Ja, so will ich's machen; und das je eher, je
lieber. - Das Frauenzimmerchen mag mir's nicht uebelnehmen;
ich kann nicht warten. (Geht in Gedanken
ab und stoesst fast auf den Major,der ihm entgegenkoemmt.)
So in Gedanken, Werner?
Da sind Sie ja! ich wollte eben gehen und Sie
in Ihrem neuen Quartiere besuchen, Herr Major.
Um mir auf den Wirt des alten die Ohren
vollzufluchen. Gedenke mir nicht daran.
Das haette ich beiher getan; ja. Aber eigentlich
wollte ich mich nur bei Ihnen bedanken, dass Sie
so gut gewesen und mir die hundert Louisdor aufgehoben.
Just hat mir sie wiedergegeben. Es waere mir
wohl freilich lieb, wenn Sie mir sie noch laenger aufheben
koennten. Aber Sie sind in ein neu Quartier gezogen,
das weder Sie noch ich kennen. Wer weiss, wie's
da ist. Sie koennten Ihnen da gestohlen werden, und Sie
muessten mir sie ersetzen; da huelfe nichts davor. Also
kann ich's Ihnen freilich nicht zumuten.
(laechelnd). Seit wenn bist du so vorsichtig, Werner?
Es lernt sich wohl. Man kann heutezutage mit
seinem Gelde nicht vorsichtig genug sein. - Darnach
hatte ich noch was an Sie zu bestellen, Herr Major;
von der Rittmeisterin Marloff; ich kam eben von ihr
her. Ihr Mann ist Ihnen ja vierhundert Taler schuldig
geblieben; hier schickt sie Ihnen auf Abschlag hundert
Dukaten. Das uebrige will sie kuenftige Woche schicken.
Ich mochte wohl selber Ursache sein, dass sie die
Summe nicht ganz schickt. Denn sie war mir auch ein
Taler achtzig schuldig; und weil sie dachte, ich waere
gekommen, sie zu mahnen - wie's denn auch wohl
wahr war -, so gab sie mir sie und gab sie mir aus dem
Roellchen, das sie fuer Sie schon zurechtgelegt hatte. -
Sie koennen auch schon eher Ihre hundert Taler ein acht
Tage noch missen als ich meine paar Groschen. - Da
nehmen Sie doch! (Reicht ihm die Rolle Dukaten.)
Werner!
Nun? Warum sehen Sie mich so starr an? -
So nehmen Sie doch, Herr Major! -
Werner!
Was fehlt Ihnen? Was aergert Sie?
(bitter, indem er sich vor die Stirne
schlaegt und mit dem Fusse auftritt). Dass es - die vierhundert
Taler nicht ganz sind!
Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn
nicht verstanden?
Eben weil ich dich verstanden habe! -
Dass mich doch die besten Menschen heut am meisten
quaelen muessen!
Was sagen Sie?
Es geht dich nur zur Haelfte an! - Geh,
Werner! (Indem er die Hand, mit der ihm Werner die
Dukaten reichet, zurueckstoesst.)
Sobald ich das los bin!
Werner, wenn du nun von mir hoerst,
dass die Marloffin heute ganz frueh selbst bei mir gewesen ist?
So?
Dass sie mir nichts mehr schuldig ist?
Wahrhaftig?
Dass sie mich bei Heller und Pfennig
bezahlt hat: was wirst du denn sagen?
(der sich einen Augenblick besinnt). Ich werde
sagen, dass ich gelogen habe, und dass es eine hundsfoett'sche
Sache ums Luegen ist, weil man drueber ertappt
werden kann.
Und wirst dich schaemen?
Sei nicht verdriesslich, Werner! Ich erkenne
dein Herz und deine Liebe zu mir. Aber ich
brauche dein Geld nicht.
Sie brauchen es nicht? Und verkaufen lieber
und versetzen lieber und bringen sich liber in der
Leute Maeuler?
Die Leute moegen es immer wissen, dass
ich nichts mehr habe. Man muss nicht reicher scheinen
wollen, als man ist.
Aber warum aermer? - Wir haben, solange
unser Freund hat.
Es ziemt sich nicht, dass ich dein Schuldner bin.
Ziemt sich nicht? - Wenn an einem heissen
Tage, den uns die Sonne und der Feind heiss machte,
sich Ihr Reitknecht mit den Kantinen verloren hatte,
und Sie zu mir kamen und sagten: "Werner, hast du
nichts zu trinken?" und ich Ihnen meine Feldflasche
reichte, nicht wahr, Sie nahmen und tranken? - Ziemte
sich das? - Bei meiner armen Seele, wenn ein Trunk
faules Wasser damals nicht oft mehr wert war als alle
der Quark! (Indem er auch den Beutel mit den Louisdoren
herauszieht und ihm beides hinreicht.) Nehmen
Sie, lieber Major! Bilden Sie sich ein, es ist Wasser.
Auch das hat Gott fuer alle geschaffen.
Du marterst mich; du hoerst es ja, ich
will dein Schuldner nucht sein.
Erst ziemte es sich nicht; nun wollen Sie nicht?
Ja, das ist was anders. (Etwas aergerlich.) Sie wollen
mein Schuldner nicht sein? Wenn Sie es denn aber schon
waeren, Herr Major? Oder sind Sie dem Manne nichts
schuldig, der einmal den Hieb auffing, der Ihnen den
Kopf spalten sollte, und ein andermal den Arm vom
Rumpfe hieb, der eben losdruecken und Ihnen die Kugel
durch die Brust jagen wollte? - Was koennen Sie
diesem Manne mehr schuldig werden? Oder hat es mit
meinem Halse weniger zu sagen als mit meinem Beutel? -
Wenn das vornehm gedacht ist, bei meiner
armen Seele, so ist es auch sehr abgeschmackt gedacht!
Mit wem sprichst du so, Werner? Wir
sind allein; jetzt darf ich es sagen; wenn uns ein Dritter
hoerte, so waere es Windbeutelei. Ich bekenne es mit
Vergnuegen, dass ich dir zweimal mein Leben zu danken
habe. Aber, Freund, woran fehlte mir es, dass ich bei
Gelegenheit nicht ebensoviel fuer dich wuerde getan
haben? He!
Nur an der Gelegenheit! Wer hat daran gezweifelt,
Herr Major? Habe ich Sie nicht hundertmal
fuer den gemeinsten Soldaten, wenn er ins Gedraenge
gekommen war, Ihr Leben wagen sehen?
Also!
Aber -
Warum verstehst du mich nicht recht?
Ich sage: es ziemt sich nicht, dass ich dein Schuldner
bin; ich will dein Schuldner nicht sein. Naemlich in den
Umstaenden nicht, in welchen ich mich jetzt befinde.
So, so! Sie wollen es versparen bis auf bessre
Zeiten; Sie wollen ein andermal Geld von mir borgen,
wenn Sie keines brauchen, wenn Sie selbst welches
haben und ich vielleicht keines.
Man muss nicht borgen, wenn man nicht
widerzugeben weiss.
Einem Manne wie Sie kann es nicht immer
fehlen.
Du kennst die Welt! - Am wenigsten
muss man sodann von einem borgen, der sein Geld
selbst braucht.
O ja, so einer bin ich! Wozu braucht' ich's
denn? - Wo man einen Wachtmeister noetig hat, gibt
man ihm auch zu leben.
Du brauchst es, mehr als Wachtmeister
zu werden, dich auf einer Bahn weiterzubringen, auf
der ohne Geld auch der Wuerdigste zurueckbleiben kann.
Mehr als Wachtmeister zu werden? Daran
denke ich nicht. Ich bin ein guter Wachtmeister und
duerfte leicht ein schlechter Rittmeister und sicherlich
noch ein schlechtrer General werden. Die Erfahrung
hat man.
Mache nicht, dass ich etwas Unrechtes
von dir denken muss, Werner! Ich habe es nicht gern
gehoert, was mir Just gesagt hat. Du hast dein Gut verkauft
und willst wieder herumschwaermen. Lass mich
nicht von dir glauben, dass du nicht sowohl das Metier
als die wilde, liederliche Lebensart liebest, die ungluecklicherweise
damit verbunden ist. Man muss Soldat
sein fuer sein Land oder aus Liebe zu der Sache, fuer die
gefochten wird. Ohne Absicht heute hier, morgen da
dienen, heisst wie ein Fleischerknecht reisen, weiter
nichts.
Nun ja doch, Herr Major, ich will Ihnen folgen.
Sie wissen besser, was sich gehoert. Ich will bei
Ihnen bleiben. - Aber, lieber Major, nehmen Sie doch
auch derweile mein Geld. Heut oder morgen muss Ihre
Sache aus sein. Sie muessen Geld die Menge bekommen.
Sie sollen mir es sodann mit Interessen wiedergeben.
Ich tu es ja nur der Interessen wegen.
Schweig davon!
Bei meiner armen Seele, ich tu es nur der
Interessen wegen! - Wenn ich manchmal dachte: Wie
wird es mit dir aufs Alter werden? wenn du zuschanden
gehauen bist? wenn du nichts haben wirst? wenn
du wirst betteln gehen muessen? so dachte ich wieder:
Nein, du wirst nicht betteln gehn; du wirst zum Major
Tellheim gehn; der wird seinen letzten Pfennig mit
dir teilen; der wird dich zu Tode fuettern; bei dem
wirst du als ein ehrlicher Kerl sterben koennen.
(indem er Werners Hand ergreift). Und,
Kamerad, das denkst du nicht noch?
Nein, das denk ich nicht mehr. - Wer von
mir nichts nehmen will, wenn er's bedarf, und ich's
habe, der will mir auch nichts geben, wenn er's hat,
und ich's bedarf. - Schon gut! (Will gehen.)
Mensch, mache mich nicht rasend! Wo
willst du hin? (Haelt ihn zurueck.) Wenn ich dich nun
auf meine Ehre versichere, dass ich noch Geld habe;
wenn ich dir auf meine Ehre verspreche, dass ich dir es
sagen will, wenn ich keines mehr habe; dass du der
erste und einzige sein sollst, bei dem ich mir etwas
borgen will: - bist du dann zufrieden?
Muss ich nicht? - Geben Sie mir die Hand
darauf, Herr Major.
Da, Paul! - Und nun genug davon. Ich
kam hieher, um ein gewisses Maedchen zu sprechen -
(im Hereintreten). Sind Sie noch da,
Herr Wachtmeister? - (Indem sie den Tellheim gewahr
wird.) Und Sie sind auch da, Herr Major? - Den
Augenblick bin ich zu Ihren Diensten. (Geht geschwind
wieder in das Zimmer.)
Das war sie! - Aber ich hoere ja, du
kennst sie, Werner?
Ja, ich kenne das Frauenzimmerchen. -
Gleichwohl, wenn ich mich recht erinnere,
als ich in Thueringen Winterquartier hatte,
warst du nicht bei mir?
Nein, da besorgte ich in Leipzig Mundierungsstuecke.
Woher kennst du sie denn also?
Unsere Bekannstchaft ist noch blutjung. Sie
ist von heute. Aber junge Bekanntschaft ist warm.
Also hast du ihr Fraeulein wohl auch
schon gesehen?
Ist ihre Herrschaft ein Fraeulein? Sie hat mir
gesagt, Sie kennten ihre Herrschaft.
Hoerst du nicht? aus Thueringen her.
Ist das Fraeulein jung?
Ja.
Schoen?
Sehr schoen.
Reich?
Sehr reich.
Ist Ihnen das Fraeulein auch so gut wie das
Maedchen? Das waere ja vortrefflich!
Wie meinst du?
Herr Major -
Liebe Franziska, ich habe dich noch
nicht willkommen heissen koennen.
In Gedanken werden Sie es doch schon
getan haben. Ich weiss, Sie sind mir gut. Ich Ihnen
auch. Aber das ist gar nicht artig, dass Sie Leute, die
Ihnen gut sind, so aengstigen.
(vor sich). Ha, nun merk ich. Es ist richtig!
Mein Schicksal, Franziska! - Hast du
ihr den Brief uebergeben?
Ja, und hier uebergebe ich Ihnen - (Reicht
ihm den Brief.)
Eine Antwort?-
Nein, Ihren eignen Brief wieder.
Was? Sie will ihn nicht lesen?
Sie wollte wohl, aber - wir koennen Geschriebenes
nicht gut lesen.
Schaekerin!
Und wir denken, dass das Briefschreiben
fuer die nicht erfunden ist, die sich muendlich miteinander
unterhalten koennen, sobald sie wollen.
Welcher Vorwand! Sie muss ihn lesen.
Er enthaelt meine Rechtfertigung - alle die Gruende und
Ursachen -
Die will das Fraeulein von Ihnen selbst
hoeren, nicht lesen.
Von mir selbst hoeren? Damit mich jedes
Wort, jede Miene von ihr verwirre; damit ich in jedem
ihrer Blicke die ganze Groesse meines Verlusts empfinde? -
Ohne Barmherzigkeit! - Nehem Sie!
(Sie gibt ihm den Brief.) Sie erwartet Sie um drei
Uhr. Sie will ausfahren und die Stadt besehen. Sie
sollen mit ihr fahren?
Mit ihr fahren?
Und was geben Sie mir, so lass ich Sie
beide ganz allein fahren? Ich will zu Hause bleiben.
Ganz allein?
In einem schoenen verschlossnen Wagen.
Unmoeglich!
Ja, ja; im Wagen muss der Herr Major
Katz aushalten; da kann er uns nicht entwischen. Darum
geschieht es eben. - Kurz, Sie kommen, Herr Major;
und Punkte drei. - Nun? Sie wollten mich ja auch
allein sprechen. Was haben Sie mir denn zu sagen? -
Ja so, wir sind nicht allein. (Indem sie Wernern ansieht.)
Doch, Franziska, wir waeren allein.
Aber da das Fraeulein den Brief nicht gelesen hat, so
habe ich dir noch nichts zu sagen.
So? waeren wir doch allein? Sie haben
vor dem Herrn Wachtmeister keine Geheimnisse?
Nein, keine.
Gleichwohl, duenkt mich, sollten Sie welche
vor ihm haben.
Wie das?
Warum das, Frauenzimmerchen?
Besonders Geheimnisse von einer gewissen
Art. - Alle zwanzig, Herr Wachtmeister? (Indem
sie beide Haende mit gespreizten Fingern in die
Hoehe haelt.)
St! st! Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!
Was heisst das?
Husch ist's am Finger, Herr Wachtmeister?
(Als ob sie einen Ring geschwind anstecckte.)
Was habt ihr?
Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, Sie
wird ja wohl Spass verstehn?
Werner, du hast doch nicht vergessen,
was ich dir mehrmal gesagt habe, dass man ueber einen
gewissen Punkt mit dem Frauenzimmer nie scherzen muss?
Bei meiner armen Seele, ich kann's vergessen
haben! - Frauenzimmerchen, ich bitte -
Nun, wenn es Spass gewesen ist; dasmal
will ich es Ihm verzeihen.
Wenn ich denn durchaus kommen muss,
Franziska: so mache doch nur, dass das Fraeulein den
Brief vorher noch lieset. Das wird mir die Peinigung
ersparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal
zu sagen, die ich so gern vergessen moechte. Da, gib ihr
ihn! (Indem er den Brief umkehrt und ihr ihn zureichen
will, wird er gewahr, dass er erbrochen ist.)
Aber sehe ich recht? Der Brief, Franziska, ist ja erbrochen.
Das kann wohl sein. (Besieht ihn.) Wahrhaftig,
er ist erbrochen. Wer muss ihn denn erbrochen
haben? Doch gelesen haben wir ihn wirklich nicht,
Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht
lesen, denn der Schreiber koemmt selbst. Kommen Sie
ja; und wissen Sie was,Herr Major? Kommen Sie
nicht so, wie Sie da sind, in Stiefeln, kaum frisiert. Sie
sind zu entschuldigen, Sie haben uns nicht vermutet.
Kommen Sie in Schuhen, und lassen Sie sich frisieren. -
So sehen Sie mir gar zu brav, gar zu preussisch aus!
Ich danke dir, Franziska.
Sie sehen aus, als ob Sie vorige Nacht
kampiert haetten.
Du kannst es erraten haben.
Wir wollen uns gleich auch putzen und
sodann essen. Wir behielten Sie gern zum Essen, aber
Ihre Gegenwart moechte uns an dem Essen hindern;
und sehen Sie, so gar verliebt sind wir nicht, dass uns
nicht hungerte.
Ich geh! Franziska, bereite sie indes ein
wenig vor, damit ich weder in ihren noch in meinen
Augen veraechtlich werden darf. - Komm, Werner, du
sollst mit mir essen.
An der Wirstafel hier im Hause? Da wird
mir kein Bissen schmecken.
Bei mir auf der Stube.
So folge ich Ihnen gleich. Nur noch ein Wort
mit dem Frauenzimmerchen.
Das gefaellt mir nicht uebel! (Geht ab.)
Nun, Herr Wachtmeister? -
Frauenzimmerchen, wenn ich wiederkomme,
soll ich auch geputzter kommen?
Komm Er, wie Er will, Herr Wachtmeister;
meine Augen werden nichts wider Ihn haben.
Aber meine Ohren werden desto mehr auf ihrer Hut
gegen Ihn sein muessen. - Zwanzig Finger, alle voller
Ringe! Ei, ei, Herr Wachtmeister!
Nein, Frauenzimmerchen; eben das wollt' ich
Ihr noch sagen: die Schnurre fuhr mir nin so heraus!
Es ist nichts dran. Man hat ja wohl an einem Ringe
genug. Und hundert- und aberhundertmal habe ich
den Major sagen hoeren: "Das muss ein Schurke von
einem Soldaten sein, der ein Maedchen anfuehren kann!"
- So denk ich auch, Frauenzimmerchen. Verlass Sie sich
darauf! - Ich muss machen, dass ich ihm nachkomme. -
Guten Appetit, Frauenzimmerchen! (Geht ab.)
Gleichfalls, Herr Wachtmeister! - Ich
glaube, der Mann gefaellt mir! (Indem sie hineingehen
will, koemmt ihr das Fraeulein entegen.)
Ist der Major schon wieder fort? -
Franziska, ich glaube, ich waere jetzt schon wieder ruhig
genug, dass ich ihn haette hierbehalten koennen.
Und ich will Sie noch ruhiger machen.
Desto besser! Sein Brief, oh, sein
Brief! Jede Zeile sprach den ehrlichen, edlen Mann.
Jede Weigerung, mich zu besitzen, beteuerte mir seine
Liebe. - Er wird es wohl gemerkt haben, dass wir den
Brief gelesen. - Mag er doch, wenn er nur koemmt. Er
koemmt doch gewiss? - Bloss ein wenig zu viel Stolz,
Franziska, scheint mir in seiner Auffuehrung zu sein.
Denn auch seiner Geliebten sein Glueck nicht wollen zu
danken haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz! Wenn
er mir diesen zu stark merken laesst, Franziska -
So wollen Sie seiner entsagen?
Ei, sieh doch! Jammert er dich nicht
schon wieder? Nein, liebe Naerrin, eines Fehlers wegen
entsagt man keinem Manne. Nein, aber ein Streich ist
mir beigefallen, ihn wegen dieses Stolzes mit aehnlichem
Stolze ein wenig zu martern.
Nun, da muessen Sie ja recht sehr ruhig
sein, mein Fraeulein, wenn Ihnen schon wieder Streiche
beifallen.
(Die Szene ist in dem Zimmer des Fraeuleins.)
(Minna von Barnhelm. Franziska.)
(Der Wirt. Die Vorigen.)
(Das Fraeulein. Franziska)
(Der Wirt. Das Fraeulein. Franziska.)
(Das Fraeulein. Franziska.)
(Der Wirt. Just. Die Vorigen.)
(Das Fraeulein und hierauf Franziska)
(v. Tellheim. Der Wirt. Die Vorigen.)
(v. Tellheim. Das Fraeulein)
(Die Szene : Der Saal.)
(Just, einen Brief in der Hand)
(Franziska. Just)
(Franziska und hernach der Wirt.)
(Paul Werner. Der Wirt. Franziska.)
(Paul Werner. Franziska)
(Paul Werner.)
(v. Tellheim. Paul Werner)
(Franziska, aus dem Zimmer des Fraeuleins. v. Tellheim. Paul Werner.)
(v. Tellheim. Paul Werner.)
(Franziska wieder heraus, mit einem Brief in der Hand. v Tellheim. Paul Werner.)
(Paul Werner. Franziska.)
(Das Fraeulein. Franziska.)